Stefan Gwildis – „Alles dreht sich“ – Das neue Album ab 18.09.2015 | ab November 2015 auf Tour
Wenn die Kladde voll ist, dann ist es fällig: Stefan Gwildis hat ein neues Album gemacht. Mit perlendem Wurlitzer-Piano und flirrender Hammond, mit knurrenden Bässen und fetten Bläsersätzen. Mit Humor, Seelentiefe und seinem lebensgegerbten Bariton. Und mit seinen so eingespielten wie bewährten Mitstreitern. „Wir machen das, was uns bewegt“, sagt Stefan Gwildis. „Und das hat für mich viel mit Soul zu tun, mit dem Geist der Freiheit, aus dem diese Musik einmal entstanden ist. Musikalisch, weil Soul so vieles möglich macht – Jazz, Blues, Spiritual, sogar Klassik, das geht alles zusammen; ganz besonders aber auch inhaltlich: Freiheit ist nicht nur ein Thema, das in den 60ern und 70ern drüben in den Staaten aktuell war – Freiheit ist immer Thema, auch jetzt und auch hier.“
Das, was ihn umtreibt, findet den Weg ins Notizbuch; A4, gebunden, voll handschriftlicher Notizen. Und von dort aus dann in die Musik, sobald es reif ist: Gemeinsam mit seinem Produktions-Team um Pianist Tobi Neumann und Drummer Martin Langer hat Gwildis vor gut einem Jahr begonnen, die Gedanken in erste Formen zu bringen. Grundsätzliche Gedanken: „Es war mir wichtig, ein Statement abzugeben und etwas zu dem Traditionswahn zu sagen, der gerade überall um sich greift. Unsere Gesellschaft wird immer größer, multikultureller und multireligöser, und zugleich will jeder seine Individualität frei ausleben. Das sind eine Menge Traditionen und Lebenswelten, die da aufeinandertreffen – zu viele für eine einzige, allein selig machende Wahrheit. In diesem Gemenge jedem Einzelnen seine Freiheit zu lassen und dabei trotzdem das große Ganze im Blick zu behalten, das halte ich für eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.“
Die Frage, wie man dem begegnen könnte, beantwortet Stefan Gwildis auf „Alles dreht sich“ so pragmatisch wie menschlich: mit einer „Handvoll Liebe“, mit Toleranz und Respekt; und mit seiner Art, sich nicht immer ganz so wichtig zu nehmen, selbst wenn man vielleicht etwas Wichtiges zu sagen hat.
Ganz Gwildis, nicht nur in diesem Song, sondern in allen Geschichten des Albums. Auch wenn er diese nicht aus dem eigenen, sondern aus beständig wechselnden Blickwinkeln erzählt: „Das ist für mich wie das Einrichten der Kamera beim Film: Jeder Song braucht seine eigene Perspektive, seinen eigenen Erzähler, und den zu finden, das ist oft das Langwierigste und Schwierigste im gesamten Schreibprozess.“
In „Mein Meer“ ist das die entrückte Perspektive des Liebenden, der die Vorzüge und Eigenarten seines geliebten Ozeans besingt. In „Doppelhaushälftenherz“ hingegen der sehr konkrete Blick eines Kühlwagen-Fahrers, der die so zahl- wie gesichtslosen
Neubausiedlungen im Metropolen-Speckgürtel mit Tiefkühlkost beliefert und, in bester Barry White-Manier, das jeweilige Ehe-Leben anhand der Bestellmenge von Pizza Hawaii analysiert. Humor mit Hintergrund: „Es ist desillusionierend, wie schnell manchmal die persönliche Freiheit von den Umständen gefressen wird, wie leicht hochfliegende Träume und Pläne einfach im Alltag untergehen. Mir tut es persönlich wirklich Leid, wenn ich soetwas mitbekomme, auch wenn das die betroffenen Personen in dem Moment vielleicht selbst gar nicht so sehen. Oder vielleicht auch gerade deswegen.“
Keine schulmeisterliche Gesellschaftskritik, kein erhobener Zeigefinger – mehr so ein Nase in den Wind Halten, und dann mal schauen, was für Fragen die Wellen des Lebens so an den Strand werfen: Existenzielle und ergreifende, wie das schwierige Abschiednehmen von der eigenen Elterngeneration, das Gwildis im getragenen „Da wo wir hingeh‘n“ anspricht. Oder auch zeitgeistige wie in „Pollerhocken“, einer eigenwilligen Uptempo-Liebeserklärung an Gwildis‘ Heimat Hamburg, Seitenhieb auf den grassierenden Wellness- und Selbstoptimierungs-Hype inklusive.
Auf seinem neuen Album lässt Stefan Gwildis Gedanken und Seele freidrehen und macht daraus Songs. Weit weg von jeder Modewelle, die geritten werden wollte, dafür ganz nah bei sich. So wie eigentlich schon immer, in seinem Leben wie in seiner Musik.
Lineare Karriereplanung und das sonst in der Musikbranche übliche Denken von Album zu Album sind nicht seins. Auch nicht, als der Erfolg kommt mit dem Album „Neues Spiel“ und seinen ins Deutsche übertragenen Versionen großer Soulklassiker. Und genauso hält Gwildis es auch nach seinen letzten beiden, fast parallel erschienenen Alben „Frei Händig“ und dem mit der NDR Bigband eingespielten Jazz-Album „Das mit dem Glücklichsein“: Er tourt mit seiner vollen Band, gibt Konzerte mit Tobi Neumann im Duo, mit seinem Jazz-Trio oder in einer Besetzung mit zwei Gitarren und einem Cello. Mit der NDR Bigband spielt er eine deutschlandweite Tournee, mit den Kieler Philharmonikern ein großes Open Air, und zwischendrin ruft er mit seinen beiden alten Fahrensmännern Rolf Claussen und Joja Wendt noch die „Söhne Hamburgs“ ins Leben. „Das alles hat seinen Reiz, seine eigene Form; und gerade dieses breite Fächern, von klein bis groß, von leise bis laut, das ist das, was mir so großen Spaß macht.“
Alles dreht sich, ist immer in Bewegung – und fügt sich so im jazzigen 6/8-Takt des Titelsongs zueinander, in Text und Ton: Alles dreht sich, ohne Anfang, ohne Schluss / Süß und flüchtig gibt Dir das Leben einen Kuss / Es verführt Dich und schlägt Haken, legt Dich rein mit Hochgenuss / Mach Dich leicht, leg Dich rein, und alles, was Dich bremst, kommt in Fluss
„Eigentlich ist das nur eine kleine, alltägliche und ganz offensichtliche Beobachtung. Aber mit gefällt der Gedanke, und er passt sehr gut auf dieses Album: Alles ist im Wandel, alles entwickelt sich, alles dreht sich – und wir drehen uns mit, als kleiner Teil des sich drehenden Universums. Je weiter man sich entfernt, desto weniger wichtig erscheint man selbst. Und das finde ich absolut positiv: Ein kleiner Teil eines großen Ganzen zu sein – jeder für sich frei, aber trotzdem in einem großen Zusammenhang.“