Maschine – das Album „Neubeginner“ (VÖ 30.09.) – 2017 auf Deutschlandtour
Dieter „Maschine“ Birr, der in 47 Jahren Puhdys über 22 Millionen Tonträger verkaufte und mehr als 4500 Konzerte spielte, kriegt keiner so einfach eingefangen. „Neubeginner“ heißt sein neues Album mit dem er jetzt auf Platz 12 der Offiziellen Deutschen Charts eingestiegen ist.
Kaum sind die letzten Kabel der Puhdys-Abschiedstour-Anlage zusammengerollt, kaum ist der ECHO ins Regal gestellt, kaum sind die letzten Seufzer verklungen, da scharrt schon wieder einer mit den Hufen.
So richtig verwundert zeigt sich allerdings keiner: Hatte jemand ernsthaft erwartet, dass diese Maschine, die seit Jahrzehnten mit bestgeölten Zylindern kraftvoll geradeaus stampft, so einfach rechts ranfahren und anhalten würde? Gas weg, Motor aus, Plane drüber? Unvorstellbar. Dieter „Maschine“ Birr, der in 47 Jahren Puhdys über 22 Millionen Tonträger verkaufte und mehr als 4500 Konzerte spielte, kriegt keiner so einfach eingefangen. Und warum es auch versuchen, es ist viel spannender, sich von ihm mitnehmen zu lassen – die Haare im Sturm („Geh dem Wind nicht aus dem Weg!“) und den Horizont im Blick.
„Neubeginner“ heißt sein neues Album. Es fängt selbstbewusst mit dem programmatischen Song „Neubeginn“ an, mit dem er auch seine Konzerte auf der Tour im nächsten Jahr eröffnen wird: „Neubeginn im neuen Leben / neue Meere überqueren / endlos viele neue Ziele / alles für mein zweites Leben“. Es ist das dritte Solowerk in seiner langjährigen Karriere. Den Zusatz „Solo“ braucht es nun nicht mehr, es ist sein neues Album. Kein Sideproject, kein Nebenschauplatz – sondern 100% Maschine. „Neubeginner“ stimmt auch deshalb, weil sich Maschine anders als beim Vorgänger, auf dem er vorrangig die Highlights seiner Dekaden umfassenden Laufbahn neu formulierte, diesmal ausschließlich auf neues Songmaterial konzentriert.
Dabei werden textlich und musikalisch eine ganze Reihe ungewohnter Töne angeschlagen, Themen gewälzt, Sounds gefunden. Natürlich, die Kompositionen stammen bis auf zwei Ausnahmen alle von Maschine. Doch bei den Texten tauchen unerwartete, wenn auch vertraute Namen auf: Heinz Rudolf Kunze und Gisela
Steineckert. Garanten für schillernde Facetten, schöne Bilder, überraschende Wendungen, rührende Momente: „Ehe der Krieg beginnt / wird vorher das Volk verarmt / bis jeder die Feinde schlagen muss / und glaubt das sei der Armut Schluss“, textet Steineckert in „Ehe der Krieg beginnt“. Kunze beschreibt mit einem Satz die Frust-Gebirge einer verlorenen Beziehung: „Du schweigst mich an wie ein Vulkan / der vor dem Ausbruch steht“.
Da geht es schon mal in philosophische Tiefenschichten, die man vom Kumpeltyp Maschine bisher nicht kannte. Er zeigt aber souverän, dass er gedankenschwere Metaphern-Monster wie „Bevor man lebt ist Nie / nachdem man stirbt ist Immer / wir sind nur eine Sendepause / in der Ewigkeit“ (aus dem Bonustrack „Silberstreifen“ – Text von Kunze) nicht nur singen, sondern authentisch erfühlen kann. Doch keine Angst, es bleibt noch genügend Platz für den Birr, den wir kennen und lieben, der mit nur wenigen Worten oft genau ins Schwarze trifft: Etwa, wenn er in dem gleichnamigen Song „Mein Zug ist abgefahren“ singt und trotzig ein depressionsfreies „…doch ich sitz ́ immer noch drin!“ hinzu fügt. Oder wenn er die Idole seiner Jugend beschwört (wer Nostalgie bespöttelt, hat einfach noch kein Leben gelebt) oder kurz und trocken mal wieder von seinem Berlin schwärmt: „Kennedy war ein Berliner, wie gut, dass auch ich einer bin.“
Maschine muss keinem mehr was beweisen. Seine Stimme ist nicht von makellosem Wohlklang, aber es kennt sie jeder im Land. Seine Riffs sind nicht gefeilt, sondern eher geschmiedet. Denn sie rocken Stadien. Es ist längst ein offenes Geheimnis, dass dort, wo in den letzten Jahren „Puhdys“ drauf stand, im Wesentlichen Birr drin war. Maschine ist in der Lage, seine Alben nahezu allein einzuspielen. Dennoch holte er sich wieder Koryphäen wie Uwe Hassbecker (Silly) an der Gitarre und Felix Lehrmann (The Flower Kings) am Schlagzeug, die schon am Vorgänger beteiligt waren, ins Studio. Vieles, was bereits in der Vorproduktion mit Marcus Gorstein entstand, fand Einzug aufs Album. Nicht, weil es perfekt war, sondern weil es echt und unverfälscht ist. Selbst eine verstimmte Gitarre kann in einem Song ihren Zauber entfalten. Behutsam hat Goldhändchen Ingo Politz diesen Schatz in seine Produktion einfließen lassen.
Alle diese Faktoren ergeben in ihrer Gesamtheit den verblüffenden Abwechslungsreichtum dieses Albums. Musikalisch folgt Maschine einfach den stark variierenden Ansätzen der Texte. Und sein Reibeisen-Organ veredelt er mit interessanten Duetten: Mit Mecky zum Beispiel, dem legendären Sänger der einzigen Ost-Rock-Band, die mit den Puhdys wirklich die Augenhöhe halten kann, Omega aus Budapest, singt er das rocklastige „Der große Magnet“. Heinz Rudolf Kunze mischt sich stimmlich ein beim grenzwertig sarkastischen „Irgendwie begabt“. Mit Freund Dirk Michaelis findet sich Maschine bei „Zwei Hände mehr“. Gemeinsam mit Ela Steinmetz schwelgt er „So viel erlebt“. Ein schöner, tiefschürfender Popsong, der aus der Feder der Elaiza-Sängerin und ihrem Team stammt. Mit dem Kunze- Cover „So wie du bist“ enthält die Platte ein unglaublich berührendes Liebeslied mit allerhöchstem Anspruch.
Kurz: Dieter „Maschine“ Birr hat mit diesem Album zu einer musikalischen und inhaltlichen Vielfalt gefunden, die durch die klare Erwartungshaltung an die Alben der Puhdys früher nicht möglich war. Faszinierend, was in dem Manne kreativ steckt, schwer beeindruckend ebenso, wie sensibel er andere ins Boot holt, die seine Schwingungen verstärken.