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Mittwoch, November 13, 2024
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Jördis Tielsch – Kleine Stadt, großes Kino

Jördis Tielsch: „Kleine Stadt, großes Kino“ – kleine akustische Pop-Hymnen – tiefgründig und leichtfüßig

Dieses Album scheint wie ein Wagnis. Ein paar akustische Instrumente nur, dazu Jördis Tielschs traumwandlerisches Violinspiel, ganz vorn ihre markante, erstaunlich erwachsene Stimme. Viel Luft, viel Raum für das ganz persönliche Loblied der erst 19-Jährigen: auf das kleine Glück, und auf die große Freiheit, die diesem innewohnt. „Kleine Stadt, großes Kino“ ist wie ein leichter Hauch von Natur und Friede – mitten hinein in die laute Ära der Großstadthymnen.

Mit Wagemut hat das alles für Jördis Tielsch aber kaum etwas zu tun. Viel mehr dafür mit ihrer Sicht auf die Dinge: „Ich komme vom Land. Ich schätze Einfachheit und Natürlichkeit sehr. Auch wenn mir die Decke immer mal wieder auf den Kopf fällt und ich etwas von der Welt sehen will – es zieht mich immer wieder hierhin zurück. Jeder braucht etwas, das sich nach Zuhause anfühlt. Und für mich ist das eben auf dem Land.“

Jördis Tielsch stammt aus Sinn, einer kleinen Gemeinde in Mittelhessen, umgeben von Wald und kleinen Bergrücken, fast wie im Bilderbuch. Wenn sie davon spricht, dann strahlt sie, noch mehr als sonst. Und wirft mit ihrem offenen, grundehrlichen Lachen ganz nebenbei eine Reihe tiefergehender Fragen auf: Ob das scheinbar allgemeingültige Bild von Popkultur nicht vielleicht doch etwas engstirnig ist; und ob so manch großstädtischer, demonstrativ zur Schau gestellter Individualismus nicht doch nur eine neue Form des so alten Herdentriebs ist – nun eben der Trieb, etwas Besonderes sein zu müssen.

Jördis Tielsch ist weit davon entfernt, sich zu verstellen, weil sie weiß, es würde ihr nicht bekommen. Sie hat ihr Einser-Abi in der Tasche, einen Plattenvertrag in der Hand – ein leichter, glücklicher Moment, aber keine Spur von Hysterie: „Das, was momentan passiert, ist wie ein Traum, und ich lasse das alles gern auf mich zukommen“, sagt sie in ihrem fröhlich-positiven Ernst, „aber ich mache mein Leben ganz sicher nicht davon abhängig.“ Kopf in den Wolken, Füße auf dem Boden. Jugendlich, natürlich, aber doch irgendwie auch sehr viel größer, erwachsener, als es ihr Alter vermuten ließe. Genau wie ihre Stimme.

Jördis Tielsch

„Die raue Stimme habe ich von Geburt an, sagen meine Eltern, sie ist einfach ein Geschenk“, lacht Jördis Tielsch. „Amüsant ist, dass sie immer weicher wird, je älter ich werde.“

Eine glückliche Fügung – wie so vieles auf ihrem musikalischen Weg, an dessen Anfang allerdings nicht ihre Stimme, sondern die Geige stand. Auf eigenen Wunsch: „Meine Eltern sind keine Musiker. Aber seit ich mit einer Freundin auf die Idee kam, Geige zu lernen, haben sie mich immer darin unterstützt.“

Die erste Lehrerin unterrichtet nach der Suzuki-Methode, einem Ansatz, der auch heutige Stars wie Julia Fischer und Hilary Hahn hervorgebracht hat. Und der spielerische, das Gehör schulende Unterricht macht das Instrument schnell zu einer unentbehrlichen Begleiterin: „Die Geige ist für mich wie eine gute Freundin, weshalb ich meinen Instrumenten früher auch immer Namen gegeben habe. Man liebt sich innig, streitet manchmal ganz furchtbar, aber findet am Ende immer wieder zusammen – auch wenn man mal eine Weile nicht geübt hat. Mittlerweile fällt mir buchstäblich alles leichter, wenn ich die Geige in der Hand habe, sogar das Reden. Ohne fühle ich mich irgendwie einsam, vor allem auf der Bühne.“

Trotz der Offenheit ihrer Lehrerin für Jazz und Pop – der Fokus liegt auf der Klassik. Jördis nimmt an „Jugend musiziert“ teil, erreicht mit großem Spaß und dem ihr eigenen Ehrgeiz zweite und dritte Plätze im Bundeswettbewerb. Aber sie fremdelt mit dem strikten, stark reglementierten Klassikbetrieb. Jördis will etwas anderes, und sie findet es: Eine eigene Band, mit Platz für Geige und Gesang gleichermaßen. Jördis ist gerade 12, ihre Mitmusiker sind alle mehr als doppelt so alt. Aber es funktioniert – blendend: Nach einem Konzert der Wise Guys nimmt sie ihren Mut zusammen und drückt den A-Capella-Heroen bei der Autogrammstunde eine ihrer selbstproduzierten CDs in die Hand. Und kurze Zeit später passiert es tatsächlich: Bariton Daniel „Dän“ Dickopf ruft bei Jördis zu Hause an und nimmt sie unter seine Fittiche. Eine Reihe von Songs entsteht aus der Zusammenarbeit, schließlich sogar ein Album, das in kleinem Rahmen erscheint. Vor allem aber spielen Jördis und Band zwei Jahre lang gemeinsam mit den Wise Guys Konzerte in großen Hallen, im ganzen Bundesgebiet – soweit die Schule es zulässt und die Eltern Zeit haben, sie zu begleiten. Und nicht genug der glücklichen Fügungen: An einem dieser Konzertabende sitzen Vertreter ihrer heutigen Plattenfirma im Publikum, und alles beginnt, sich noch schneller zu drehen.

Studioaufnahmen in Hamburg, die Plattenfirma in München, dazwischen wartet noch das anstehende Musikstudium, vielleicht in Frankfurt, vielleicht in Köln – Jördis‘ derzeitiges Leben ist über die gesamte Republik verteilt. Die Welt ruft, laut und deutlich, und Jördis hört es gern. Doch der Dreh- und Angelpunkt bleibt ihr zu Hause, bei ihrer Familie, ihren Freunden, ihrem Pferd Geronimo, das sie ihren Eltern mit jahrelanger Beharrlichkeit abringen konnte.

„Es ist ein innerer Zwiespalt. Wenn man mit seiner Musik Menschen erreichen will, kann man nicht auf dem Dorf bleiben. Ich nehme das gern an und freue mich auf die neuen Menschen und Erfahrungen, die dort warten. Aber die Anonymität der Großstädte befremdet mich: So unendlich viele Menschen, die aneinander vorbeilaufen, ohne sich zu kennen, ohne sich überhaupt wirklich anzusehen. Selbst in der U-Bahn, so nah, sitzen sich eigentlich nur zwei Fassaden gegenüber. Dieses Gefühl der Einsamkeit, inmitten von Menschen, das ist mir fremd.“

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